Was ist eine Querschnittlähmung und welche Auswirkungen hat sie für die Betroffenen? Die wichtigsten Infos dazu. Zudem gibt Karl Emmenegger einen ehrlichen Einblick in sein Leben im Rollstuhl.
Karl Emmenegger, 69 Jahre, aus dem Raum Luzern
Von einem Moment auf den anderen nicht mehr gehen zu können, seine Beine und teils auch Arme nicht mehr einsetzen und spüren zu können, ist ein einschneidendes Erlebnis. Plötzlich ist da ein Rollstuhl, mit dem man umgehen muss. Im Alltag ist man mit Unannehmlichkeiten wie unüberwindbaren Stufen oder unerreichbaren Einkaufsregalen konfrontiert. Und die Auswirkungen auf das Privat- und Berufsleben sind immens. Das ist aber alles nur eine Seite des Lebens eines querschnittgelähmten Menschen. Die damit verbundenen gesundheitlichen Folgen ist die andere.
Das Gehirn kann als eine Art «Schaltzentrale» unseres Körpers verstanden werden. Via Rückenmark steuert es unseren Körper; unsere Arme und Beine sowie die inneren Prozesse wie Atmung, Kreislauf und Verdauung. Ist das Rückenmark beschädigt, funktioniert die Informationsübertragung zwischen Gehirn und Körper nicht mehr oder nur noch teilweise. Das Gehirn sendet ein Signal, das dann an der verletzten Stelle im Rückenmark «hängenbleibt» und nicht weitergleitet wird.
Die Folge: Beine und teils auch Arme sind gelähmt. Je nach Höhe der Verletzung sind die Auswirkungen unterschiedlich. Über die gesamte Länge des Rückenmarks laufen Spinalnerven durch die kleinen Zwischenräume zwischen den einzelnen Rückenwirbeln. Die Spinalnerven, die die Arme und Hände ansteuern, entspringen dem Halswirbelbereich. Diejenigen, die die Beine (und auch Blase, Darm und Genitalien) ansteuern, verlaufen aus bestimmten Wirbeln im Lenden- und Kreuzbeinbereich. Neben den sichtbaren Bewegungseinschränkungen und Lähmungen können – je nach Höhe der Schädigung des Rückenmarks – viele weitere Folge- und Begleiterkrankungen eintreten. Je höher die Verletzung, je mehr Bereiche und Funktionen im Körper sind betroffen.
Das Rückenmark kann durch Verletzungen der Wirbelsäule geschädigt werden. Aber auch Krankheiten wie Tumore, Infektionen oder Blutungen können dafür verantwortlich sein. In seltenen Fällen kann eine Querschnittlähmung angeboren sein, zum Beispiel bei Spina bifida – auch als offener Rücken bekannt.
Viele kommen bei einem Sportunfall, einem Sturz von der Leiter oder einem Motorradunfall mit einem Schrecken davon. Für andere beginnt ein schwerer Weg. Vor 42 Jahren erlitt Karl Emmenegger ein solches Schicksal. Ein Unfall auf der Strasse krempelte sein Leben von einer Sekunde auf die andere völlig um:
Bei Paraplegikerinnen und Paraplegikern ist die untere Körperhälfte von der Querschnittlähmung betroffen. Die Beine, das Gesäss sowie der Bauch- und unterer Brustbereich sind gelähmt – je nachdem auf welcher Höhe die Lähmung ist. Die Rückenmarksverletzung hat im Brustwirbel-, Lendenwirbel oder im Bereich des Kreuzbeins stattgefunden. Menschen mit Paraplegie können ihre Arme ohne Einschränkungen bewegen, auch ihre Atemmuskulatur funktioniert meistens einwandfrei.
Anders als bei der Paraplegie betrifft die Lähmung bei Menschen mit Tetraplegie nicht nur die Beine und den Rumpf, sondern auch die Arme und Hände. Die Schädigung des Rückenmarks liegt im Bereich der Halswirbelsäule. Je nach Höhe der Verletzung kann der oder die Betroffene die Arme noch etwas bewegen. Bei Tetraplegikerinnen und Tetraplegikern ist auch die Atemmuskulatur mitbetroffen. Je nachdem muss die betroffene Person künstlich beatmet werden. Zudem kann auch die Regulation des Kreislaufs gestört sein.
Bei Menschen mit Querschnittlähmung ist fast immer die Funktion von Blase, Darm und Sexualität gestört. Der Grund: Die dafür zuständigen Nerven verlaufen vom Gehirn durch das Rückenmark bis ganz unten in den Bereich des Kreuzbeins. Die Störung der Sexualfunktion und der Fortpflanzungsfähigkeit betrifft Männer. Heute kann deshalb bei Kinderwunsch eine Samenentnahme erfolgen. Frauen können auch mit einer Querschnittlähmung ein Kind empfangen und austragen.
Paraplegikerinnen und Tetraplegiker müssen lernen, auch mit weiteren indirekten Folgen einer Querschnittlähmung umzugehen. Zum Beispiel Druckgeschwüren, also unbemerkte Druckstellen, die nicht mehr durchblutet sind. Oder unkontrollierbare, meist schmerzhafte Muskelverkrampfungen, sogenannte Spastiken. Sie entstehen, weil im Rückenmark die Nervenverbindung vom Gehirn unterbrochen ist, die für die Feinsteuerung im Gehirn verantwortlich ist.
Kann eine Person mit Paraplegie oder Tetraplegie Arme und Beine weder bewegen noch spüren, spricht man von einer kompletten Querschnittlähmung. Entweder wurde das Rückenmark an der verletzten Stelle komplett durchtrennt. Oder Schwellungen und eine schlechte Durchblutung haben zu einem kompletten Ausfall der Funktionen geführt.
Bei einer inkompletten Paraplegie oder inkompletten Tetraplegie hingegen können betroffene Menschen Druck oder Schmerz unterhalb des geschädigten Rückenmarks noch immer empfinden und ihre Beine und Arme etwas bewegen.
Eine Querschnittlähmung verändert das gesamte Dasein der betroffenen Person. Sie kann nicht mehr gehen, ihre Arme je nachdem nicht mehr benutzen – und muss lernen mit den vielen Folge- und Begleiterkrankungen zu leben.
Früher war eine Querschnittlähmung mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden. Paraplegiker und Tetraplegikerinnen starben häufig an Nierenleiden, verursacht durch den Rückstau von Urin und Harnwegsinfekten.
Heute ist die Sterblichkeitsrate zum Glück stark gesunken. Dank der heutigen, innovativen Operationstechniken, der besseren medizinischen und chirurgischen Versorgung und Rehabilitation kann ein Mensch mit Querschnittlähmung in der Schweiz nicht nur länger leben, sondern auch ein erfülltes und produktives Leben führen. Auch der Umgang mit Menschen mit Behinderung hat sich in den letzten Jahrzehnten positiv verändert. Betroffene Menschen sind heute besser akzeptiert und integriert, beruflich wie sozial.
Er ist Leitender Arzt für Wirbelsäulenchirurgie im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil. Zudem leitet er das Projekt eines interdisziplinären Rückenzentrums. Guy Waisbrod stand bei diesem Artikel beratend und redaktionell zur Seite.
Erfahren Sie monatlich mehr über aktuelle Gesundheitsthemen und erhalten Sie alle Informationen zu den attraktiven Angeboten aller Gesellschaften der Helsana-Gruppe * bequem per E-Mail zugestellt. Registrieren Sie sich kostenlos für unseren Newsletter.
Ihre Daten konnten nicht übermittelt werden. Bitte versuchen Sie es später erneut.
* Zur Helsana-Gruppe gehören die Helsana Versicherungen AG, Helsana Zusatzversicherungen AG sowie die Helsana Unfall AG.